NEUES INTERVENTIONSPROTOKOLL IN DER AUTONOMEN PROVINZ BOZEN:
So verändert sich der Umgang mit Schülerinnen und Schülern in komplexen Schulsituationen
Die Schulen der Autonomen Provinz Bozen verfügen endlich über ein strukturiertes und gemeinsam getragenes Protokoll für den Umgang mit schweren Verhaltensproblemen im schulischen Kontext, ausgearbeitet von der Landesdirektion der ladinischen Schulen unter der wissenschaftlichen Leitung von Dr.in Donatella Arcangeli (Primarärztin des Landesdienstes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie – Südtiroler Sanitätsbetrieb) sowie einer breit aufgestellten interinstitutionellen Arbeitsgruppe.
Es handelt sich um ein praxisorientiertes, konkretes und vor allem aktuelles Dokument: Es anerkennt die zunehmende Komplexität, der Lehrpersonen, Schulleitungen und Familien täglich begegnen, und bietet einen klaren Handlungsweg, der drei zentrale Begriffe in den Mittelpunkt stellt:
- Schnelligkeit,
- Zusammenarbeit,
- Schutz der Schulgemeinschaft.
Ein bedeutender Schritt nach vorne, der psychiatrische und psychologische Erkenntnisse mit pädagogischen Kompetenzen und institutioneller Verantwortung verbindet. Kurz: ein gemeinschaftliches Werk, getragen von Schule, Inklusionsdiensten, Schulleitungen und Gesundheitsdiensten – ein Dokument, das aus der Realität entsteht und genau zu ihr spricht.
Warum war ein neues Protokoll notwendig?
In den letzten Jahren beobachten die Schulen einen Anstieg von:
- – oppositionellem und provokativem Verhalten,
- – emotionalen Krisen und plötzlich auftretender Wut,
- – verbaler oder körperlicher Aggressivität,
- – Weglaufen aus der Klasse oder sogar aus dem Schulgebäude,
- – zunehmend ausgeprägten Schwierigkeiten in der Selbstregulation.
All dies sind Signale: von Erschöpfung, von fehlender innerer Regulation, von Bedürfnissen, die nicht erkannt oder nicht behandelt wurden.
Das Protokoll basiert auf einem zentralen Grundsatz:
Jede schwerwiegende Episode muss thematisiert werden – nicht ignoriert.
ZIEL: verstehen, vorbeugen und Sicherheit schaffen.
Beschreibung der Verhaltensweisen
Das Dokument unterscheidet zwischen:
- Sozial unangemessenem Verhalten
(Lebhaftigkeit, Unterbrechungen, Aufmerksamkeitsprobleme, Störungen des Unterrichts …)
- Sozial inakzeptablem Verhalten (antisozial)
(Beleidigungen, Drohungen, körperliche Aggressionen, Weglaufen aus der Schule, Sachbeschädigungen …)
Diese Unterscheidung ist entscheidend, weil sie ermöglicht, angemessene und differenzierte Reaktionen anzuwenden – und damit sowohl die Gleichbehandlung aller Situationen als auch die Verharmlosung potenziell gefährlicher Episoden zu vermeiden.
Die Bedeutung eines frühen (und richtigen) Eingreifens
Das Protokoll erinnert an einen zentralen Grundsatz der Entwicklungspsychologie:
Deshalb hat die Schule den Auftrag:
Deshalb hat die Schule den Auftrag:
- – den Vorfall zu analysieren,
- – die Ursachen zu verstehen,
- – pädagogische Maßnahmen zu aktivieren,
- – die Familie sofort und klar einzubeziehen.
Das Ziel ist nicht, das Kind zu bestrafen, sondern Teufelskreise zu durchbrechen, die sich schnell verfestigen können und das Kind bis ins Jugendalter begleiten würden.
Das Verfahren: einfach, klar, strukturiert
Das Protokoll führt einen Ablauf in vier Schritten ein:
- 1. Erster Vorfall
- Mitteilung an die Eltern.
2. Zweiter Vorfall (innerhalb von 1–3 Monaten)
- – Mitteilung an die Eltern
- – telefonische Einladung
- – Gespräch mit den Lehrpersonen und, wenn möglich, der Schulleitung
- – Unterzeichnung des Schul–Familie-Erziehungsabkommens und der Schulordnung
- 3. Dritter Vorfall
- – schriftliche Einladung
- – Gespräch mit der Schulleitung
- – Aktivierung des Individuellen Erziehungsabkommens Schule–Familie
- 4. Weitere Vorfälle
→ vorübergehende Suspendierung (alle 3 schweren Vorfälle innerhalb von 1–3 Monaten)
Ein innovativer Aspekt besteht darin, dass jeder Schritt einen direkten Kontakt mit der Familie vorsieht, da die Schule komplexe Verhaltensschwierigkeiten nicht allein bewältigen kann. Eine koordinierte, gemeinsame pädagogische Linie zwischen Schülern, Familien und Schule ist daher unerlässlich.
Das Erziehungsabkommen Schule–Familie
Es ist ein wirksames, aber wenig bekanntes Instrument.
Es dient dazu, ein klares und transparentes Bündnis zwischen Schule, Familie und – falls beteiligt – Gesundheits- und Sozialdiensten zu schaffen.
Das Abkommen legt fest:
- – nicht verhandelbare Regeln,
- – gemeinsam abgestimmte pädagogische Strategien,
- – Kommunikationswege,
- – mögliche Anpassungen des Stundenplans,
- – individualisierte Arbeitsphasen im Klassenraum oder außerhalb,
- – Personen, die im Notfall berechtigt sind, das Kind abzuholen.
Das Abkommen ist keine „Strafe“, sondern eine Brücke, um die tatsächlichen Bedürfnisse des Schülers und der Klasse wieder in den Mittelpunkt zu rücken.
Wenn sich die Situation nicht verbessert
Das Protokoll unterscheidet zwei Szenarien:
Fall A – Die Familie arbeitet nicht mit
→ Einschaltung des Sozialdienstes
→ mögliche Meldung an das Jugendgericht
Fall B – Die Familie arbeitet mit
→ Aktivierung oder Verstärkung der sanitär-therapeutischen Unterstützung
→ Antrag auf dringende fachärztliche Abklärung (innerhalb von 3 Monaten)
Das Ziel ist, sicherzustellen, dass kein Kind ohne angemessene Maßnahmen und Hilfsmittel bleibt – durch ein abgestimmtes, gemeinsam getragenes Vorgehen in enger Zusammenarbeit mit der Familie.
Gute Vorgehensweisen
Das Protokoll hebt Maßnahmen hervor, die wir auch bei PECOM seit Jahren anwenden:
- – präzise Beobachtung der Auslöser (Trigger),
- – respektvolle Gestaltung der Beziehung,
- – Reduktion von Risikofaktoren,
- – positiver Verstärker,
- – positiver Verstärker,
- – klar strukturierte (nicht punitive) Time-out-Phasen,
- – individualisierte Arbeit außerhalb des Klassenraums,
- – verstärkte Aufsicht in besonders kritischen Momenten (Stundenwechsel, Pause usw.).
Für Schülerinnen und Schüler mit schulischer Bescheinigung
Das Protokoll unterscheidet Fälle mit:
- ADHS
- – Verhaltensstörungen
- – affektiven Störungen
- – Persönlichkeitsstörungen
- – Autismus-Spektrum-Störungen
- – geistiger Behinderung
- – gemischten Störungen des Sozialverhaltens
Für diese Schülerinnen und Schüler ist ein präventiver Ansatz vorgesehen:
- – Aktivierung des Abkommens bereits zu Schuljahresbeginn,
- – Ausfüllen des Informationsblatts gemeinsam mit der Familie,
- – kontinuierliches Monitoring,
- – individuell abgestimmte Förderung,
- – gegebenenfalls Stundenplanreduktion (in Absprache mit dem Gesundheitsdienst).
Ein sehr wichtiger Punkt:
Die Diagnose einer schweren Beeinträchtigung des Sozialverhaltens hat eine Gültigkeit von einem Jahr, weil es sich um eine veränderbare Bedingung handelt – vorausgesetzt, es erfolgt eine gute pädagogische und therapeutische Intervention.
Schlussfolgerung: eine Zukunft gemeinsamer Allianzen und geteilter Kompetenzen
In einer Zeit, in der die Herausforderungen von Schülerinnen und Schülern zunehmen, dürfen Schulen und Familien nicht allein gelassen werden.
Dieses Protokoll bringt Klarheit, Struktur und vor allem eine gemeinsame Vision:
Der Umgang mit schwierigem Verhalten ist Teamarbeit, die konsequent und abgestimmt auf drei Ebenen vorangetrieben werden muss – mit dem Kind, mit der Schule und mit der Familie.
Die Schülerinnen und Schüler brauchen keine Strafen, sondern Erwachsene, die verstehen, Halt geben und begleiten können.
Wenn Sie sich für dieses Thema interessieren oder Fragen haben, kontaktieren Sie uns:
- Telefon & WhatsApp: 320 76 46 254
- e-mail: segreteria@pecomcare.it
- Ort: PECOM – Ambulatorio Fachambulanz, Freiheitsstraße 15, Bozen, 1. Stock; wenn Sie möchten, kann das Gespräch auch online stattfinden.
Dr. Ilaria Obbili
Gesundheitsdirektorin PECOM
Psychotherapeutin